24.06.2022 Michél Kothe in der Uniform eines preußischen Garde Unteroffiziers aus der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 erzählt Schülerinnen der Klassenstufe 7 vom Leben und Leiden der SoldatenAm Freitag, 24. Juni 2022, trat der Freizeitsoldat Michél Kothe in der Uniform eines preußischen Garde-Unteroffiziers aus der Leipziger Völkerschlacht im Geschichtszimmer B 03 auf, jeweils eine Doppelstunde vor jeder siebenten Klasse; dabei präsentierte und erläuterte er unter anderem seine preußischblaue Uniform mit roten Aufschlägen, die Funktion des Gewehrs sowie die kargen Ausrüstungsgegenstände der Soldaten um 1813; und er gab Degen und Gewehr durch die Reihen und beantwortete geduldig alle Fragen unserer Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 7.

Was Michél Kothe den Schülerinnen und Schülern bot, war keine Romantisierung preußischen Soldatentums.

Worauf es ihm vielmehr ankommt, ist es, das Leben – das heißt vor allem: das Leiden – der damaligen Soldaten zu verdeutlichen: sowohl auf dem Marsch als auch in der Schlacht, in der Regel übrigens mit 30 kg Gepäck; überdies im improvisierten, notorisch unhygienischen Lazarett einer Epoche, in der Schmerzmittel unbekannt waren. Wir haben aus seinen lebhaften Erzählungen erfahren, wie sehr die Schuhe und Stiefel der Soldaten drückten und wie bescheiden ihre Verpflegung war; wie umständlich das sperrige Gewehr sich handhaben ließ; welche Plage es auf den unendlichen Märschen für alle Beteiligten wurde, auch nur schlicht die Notdurft zu verrichten; oder wie entsetzlich die Operationen in den improvisierten Lazaretten verliefen.

Kriegsgeschichte in heutigem Geschichtsunterricht steht bekanntlich nicht hoch im Kurs, und das hat ja seine guten Gründe. Krieg, zumal in Europa – gar nicht lang ist es her –, schien vormodernen Zeiten anzugehören, die es offenbar nicht besser wussten und die wir hinter uns gelassen glaubten. In heutigem Geschichtsunterricht findet Krieg Erwähnung allenfalls als Voraussetzung mehr oder weniger stabiler Friedensordnungen. Michél Kothe bot in seiner Veranstaltung eine weitere – unpolitische – Sichtweise auf den Krieg: die Perspektive „von unten“ aus dem absolutistischen Soldatenleben um die Wende vom 18. zum 19 Jahrhundert, das – wie wir nun also erfahren haben – keinesfalls attraktiv war und welches die damals Mächtigen, um ihre Ziele zu erreichen, bedenkenlos aufs Spiel setzten, weil es auf ein paar Tausend Bauernsoldaten offenbar nicht ankam.

Herr Kothe bietet noch mehr: Durch seine Erzählungen schienen Gegenwartsbezüge durch. Wahlloser Schlachtentod damals etwa kündigte sich an, wenn die dicht gedrängten Schlachtreihen feindlicher Armeen in Sichtweite und in Abfolge von zwanzig Sekunden ungerichtet aufeinander feuerten – irgendwer wurde stets getroffen. Wahl- und zahlloser Kriegstod heute, nicht primär der Soldaten, sondern zunehmend der Zivilbevölkerung, erfolgt unangekündigt aus ungreifbarer Ferne. Dem Krieg, wenn er denn stattfindet, hilflos ausgeliefert sind heute mehr Menschen denn je.

Ist eine Konfrontation heutiger Schülerinnen und Schüler mit dem vormodernen Krieg napoleonischer Zeiten abgetan, also überflüssig? Mir schien eher, dass der historische Vergleich das Vermögen unserer Schülerinnen und Schüler, gesellschaftliche und kulturelle Sachverhalte heutiger Moderne zu beurteilen, geschärft hat.

Dr. Ralf Beck



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